Stadt der unsichtbaren Moscheen

02/18/2014

Der Islam gehört zu Deutschland. Zumindest in Berlin. Über hundert Moscheen gibt es zwischen Pankow und Tempelhof, Köpenick und Spandau. Die meisten verstecken sich noch in Hinterhöfen.

Von Charlotte Gerling und Ralf Pauli

Berlin gilt als die Vorzeigestadt in Europa im Umgang mit Muslimen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder. In Berlin-Kreuzberg, so das Ergebnis, sind muslimische Organisationen stark in verschiedenen Bezirksgremien vertreten, erhalten öffentliche Gelder und Bezirkspolitiker kooperieren mit muslimischen Vereinen: „Das ist angesichts der weithin wahrgenommenen Stigmatisierung und Marginalisierung vieler muslimischer Vereine und Organisationen in Deutschland sehr ermutigend“, so die Autoren der Studie.

Die älteste Moschee Berlins (Foto: Samsami/Donath)

Die älteste Moschee Berlins (Foto: Samsami/Donath)

In Berlin-Kreuzberg wohnen 35.000 der geschätzt 249.000 Berliner Muslime. Hier fühlen sich sie wohl und zugehörig, wie die Antworten in der Studie zeigen. Kreuzberg ist das Integrations-Modell für Muslime in Kopenhagen, Paris, Stockholm. Doch die Antworten zeigen auch: Das ist nicht überall in Berlin so. In Pankow-Heinersdorf verhinderte eine Bürgerinitiative fast den Bau einer Moschee. Überfremdungsängste gibt es auch in Berlin.

In Kreuzberg, Wedding und Neukölln leben die die meisten Bewohner mit Migrationshintergrund. Und hier ist auch ein Großteil der über hundert Moscheen und Gebetsräume angesiedelt. Dahinter folgen Tiergarten-Moabit, das nördliche Schöneberg und der östliche Teil von Charlottenburg.

Kaum Moscheen im Osten

249.000 Muslime leben in Berlin. 170.000 stammen aus der Türkei, 60.000 aus arabischen Ländern. Die Zahl wird geschätzt, indem man die Einwohner mit Migrationshintergrund aus islamischen Ländern mit der Zahl deutscher Muslime addiert.

Ein Blick auf die Karte verdeutlicht, dass die Geschichte der Berliner Moscheen auch viel über die Teilung der Stadt in Ost und West erzählt – und über ihre unterschiedlichen Einwanderungsgeschichten. In 77 der 96 Berliner Ortsteile gibt es gar keinen islamischen Gebetsraum. Im ehemaligen Ostteil der Stadt sind es auch 24 Jahre nach der Wende nur zwei Gebetsräume, den einer kleinen türkischen Gemeinde in Mitte, sowie die umstrittene Khadija-Mosche in Pankow-Heinersdorf, die 2008 eingeweiht wurde.

Die Gründe dafür haben mit der Geschichte der Stadt zu tun: Zwar gab es bereits in den 1920er Jahren erste muslimische Gemeinden, die 1924 eine Moschee in Wilmersdorf erbauten. Doch die Geschichte der Berliner Moscheen setzt erst so richtig 1961 ein. Zwei Ereignisse fallen in dieses Jahr: Der Mauerbau und das erste Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei.

Während im Ostteil der Stadt so gut wie keine Muslime zuzogen, brachten im Westteil Gastarbeiter aus der Türkei, Marokko und Tunesien, die ihren Glauben mit nach Berlin. Sie siedelten sich überwiegend in den drei westlichen Innenstadtbezirken Neukölln, Wedding und Kreuzberg an, wo die Mieten günstig waren. Nach dem Anwerbestopp 1973 zogen viele Gastarbeiter ihre Familien nach. In den 1980er und 1990er Jahren kamen Asylsuchende aus muslimischen Ländern nach Deutschland: aus dem Iran, Palästina, Libyen aber auch aus den Gebieten des damaligen Jugoslawien. Sie waren nach den Gastarbeitern die zweite große Einwanderungsgruppe aus islamischen Ländern. Mit der Anzahl der Muslime in Berlin wuchs auch die Zahl der Moscheen: Allein zwischen 1983 und 1994 kamen 30 neue Gebetsräume hinzu.

Die nationalen Einwanderungsgeschichten prägen noch heute die muslimischen Gemeindestrukturen. So sind die meisten Berliner Moscheenvereine türkisch. Aber auch Afghanen, Pakistaner, Albaner, Kosowaren, Bosnier und Muslime aus arabischen Ländern haben eigene Gemeinden. In den Moscheen predigen die Imame je nach Gemeinde auf Arabisch, Türkisch, Indisch, Kurdisch oder zunehmend auch auf Deutsch. Ebenso vielschichtig ist die Ausrichtung des Glaubens: Knapp 90 Prozent der Moscheenvereine gehören der sunnitischen Richtung an. Aber es gibt auch sieben schiitische, zwei alevetische und zwei Ahmadiyya-Gemeinden.

Moscheen werden für die Gesellschaft sichtbar

Der Großteil der Moscheen sind sogenannte Hinterhof-Moscheen, sie sind in umfunktionierten Räumen untergebracht. Von den über hundert Moscheen in Berlin sind nur vier als solche an Minarettturm und Kuppel erkennbar: Die Wilmersdorfer Moschee, die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Neukölln, das Maschari-Center am Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg sowie die bereits erwähnte Khadija-Moschee in Pankow-Heinersdorf. Deutschlandweit haben gerade mal 70 von 2500 Moscheen Kuppel und Minarett. Bis auf die historische Wilmersdorfer Moschee aus dem Jahre 1924 sind alle repräsentativen Moscheebauten in Berlin erst zwischen 2005 und 2010 entstanden. Der Trend ist klar: Die Berliner Moscheen werden sichtbarer für die Gesellschaft. In den letzten zehn Jahren sind 26 Gebetsräume in repräsentativere Bauten umgezogen.

Vor allem in Kreuzberg sind Moscheebauten heute kein Aufreger mehr. Seit der Kontroverse um den Bau eines türkischen Kulturzentrums in den 1980er Jahren hat die Kreuzberger Bezirksverwaltung Anwohner und Muslimverbände systematisch in die Städteplanung eingebunden. Im Stadtteilausschuss werden Anwohner und muslimische Verbände frühzeitig in die Bauvorhaben eingeweiht – und die Diskussion so versachlicht. Doch oft schürt der Bau repräsentativer Moscheen noch Überfremdungsängste und führt zu Konflikten mit Anwohnern oder lokalen Behörden. In Pankow-Heinersdorf zu Beispiel gab es lange Kampf, NPD-Aufmärsche, Vorurteile und Ressintements, die der Imam der Moschee nur mit viel Keksen, Tee und einem Kinderspielplatz für die Heinersdorfer aus der Welt räumen konnte.

Anwohner einbinden – Vorurteile abbauen

In vielen Berliner Bezirken sind muslimische Gemeinden heute gut integriert, sagen die Islamwissenschaftlerinnen Riem Spielhaus und Alexa Färber. In einer Studie für den Berliner Senat zeigen sie, dass die meisten Moscheenvereine eng mit Bezirksämtern, Schulen, Polizeidienststellen oder anderen Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten.

Umgekehrt helfen Moscheenvereine aber auch, ihre Mitglieder in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Sie sind Anlaufstellen für Alltagsfragen oder Behördengänge, organisieren Deutschkurse, sind soziale Treffpunkte und Bildungsorte. Wie das Islamische Kulturzentrum der Bosniaken in Kreuzberg, das Lesezirkel und Koranunterrichtet anbietet.

In Neukölln, Kreuzberg oder im Wedding trauen sich die muslimischen Gemeinden, sichtbar für die Gesellschaft zu werden. Dass es überall in Berlin – und in Deutschland – so weit kommt, müssen Muslime und Nicht-Muslime Vorurteile abbauen und sich als Nachbarn begegnen. Das wünschen sich viele Muslime. Seit 1997 öffnen Moscheen am „Tag der Offenen Moschee“ ihre Türen.